Freitag, 17. April 2009

Geschichte Nr.2

Entschuldigt bitte meine kurzangehaltenen Posts, mein Leben fordert mich im Moment gerade an allen Fronten - gibt viel aber fordert noch mehr - und dann reicht es manchmal nicht mehr für philosophische, geistreiche, überraschende Ein- und Ansichten.

Hier jedoch meine zweite Geschichte (die englische Übersetzung folgt, wenn ich wieder Musse zum Übersetzten habe. Sorry). Sie entstand bei einem höchst interessanten Emailwechsel (ja, mein Leben ist schreiben, schreiben, schreiben *zwinker*), mit der Heraus- und Aufforderung, ein Bild auszuwählen und eine Geschichte darüber zu schreiben...


Schattenschwestern
Vor langer Zeit, als er noch ein junger Mann war, ihn die Gelenke beim Aufstehen aus tiefen Sesseln nicht schmerzten und sein Spiegelbild nicht angefangen hatte, sich vor seinen Augen langsam und unmerklich zu verändern, bis er schließlich Morgen für Morgen einem alten Mann gegenüber stand... als er also noch jung war, da führte ihn sein Beruf für eine schwüle Sommerwoche in eine fremde Stadt. Die Tage zerronnen in einem dunstigen Nebel aus Schweiß und Stress; Klimaanlagen gab es noch nicht. Die fremden Leute mit ihren fremden Stimmen in ihren fremden und doch langweilig vertrauten Büros, die blonde Sekretärin (wieso Sekretärinnen immer und überall blond waren, wo er auch hinging, wusste er heute noch nicht) waren ihm bekannt auch wenn er sie alle nicht kannte. Ein weiterer Aufenthalt in einer langen Reihe von Aufenthalten in ungezählten Städten und Büros. Anfangs hatten jede Stadt, jedes Hotelbett, jede Firma und jeder, der ihm die Hand schüttelte, noch ihre ihnen eigene Fremdheit besessen. Doch irgendwann, als er aufgehört hatte, zu zählen wer, wo, wie und wie viel, war das Fremde zusammengeschmolzen. Alles dasselbe. Alles schon gesehen. Man könnte auch sagen, die Situation fing an, ihn zu langweiligen. Da saß er also nun in dieser Stadt, deren Namen er sich nicht gemerkt hatte, weil er nicht wichtig war und arbeitete und schwitzte und freute sich darauf, im Hotel in ein frisches, von der Hitze noch nicht verwelktes Hemd zu schlüpfen und in der Bar ein kühles Bier seine vom Telefonieren und Konferenzieren, nicht zu sprechen von der Hitze ausgedörrten Kehle hinab rinnen zu lassen. Der Gedanke fühlte sich wohlig an. Er war schon verdammt bescheiden geworden. Ein Hemd und ein Bier. Waren das seine Ansprüche ans Leben?


Abends, er hatte sich soeben das erwähnte Hemd angezogen, fiel sein Blick aus dem Hotelzimmerfenster. Sie waren heute, an seinem letzten Tag in dieser Stadt, gut voran gekommen und waren früher fertig geworden, als geplant. Durch das Fenster sah er, wie die Abendsonne die gegenüberliegende Häuserzeile golden anschien. Er schloss die Gürtelschnalle, steckte ein paar Scheine ein und machte sich auf in Richtung Hotelbar. Sie war, wie sie jeden Abend dieser Woche gewesen war (wie alle Hotelbars dieser Welt, egal wie prunkvoll oder schäbig sie sich gaben, waren): etwas düster und mit einer Prise abgelöschter Resignation. Man war niemals dort, weil man dort sein wollte, sondern weil man zwischen zwei Destinationen in einer langen Reihe von Destinationen gestrandet war.

Heute nicht. Er drehte sich um, durchquerte die Hotellobby und ging durch die sich ihm öffnende Türe hinaus in die fremde Stadt. Er konnte sich nicht erinnern, wann er dies zum letzten Mal getan hatte. Orte bestanden hauptsächlich aus Konferenzzimmern, Hotels und Bahnhöfen oder Flughäfen. Er orientierte sich nach der Sonne, die ihre brutale Brennkraft des Tages abgelegt hatte und ihre Strahlen jetzt mild und liebkosend auf Häuser und Menschen legte. Er bewegte seine Schultern, schüttelte die Knoten aus den Muskeln und lief los ohne Absicht und Plan. Seine Schritte verlangsamten sich unbemerkt zu einem Schlendern, als er anfing, die Menschen um ihn herum zu beobachten, die Gebäude anzusehen, die Gerüche und Geräusche wahrzunehmen. Die Atmosphäre rund um ihn war lebhaft aber ungehetzt. Er ließ sich treiben und hielt nur kurz an, um die Ärmel seines Hemdes hochzukrempeln und den obersten Knopf zu öffnen - zugeknöpft passte einfach nicht an diesen Ort.

Das erste, was seinen Blick anzog war nicht sie, sondern die Farbe. Rot war das Gebäude - auf eine herausfordernd lebendige Weise. Da wo er herkam aber schon lange nicht mehr gewesen war, hielten sich die Häuser dezent im Hintergrund. Dieses Haus hier jedoch war ein optisches Ausrufezeichen, das den Blick in seinen Bann zog ohne zu fragen. Er lächelte ein wenig. Er mochte dieses Haus. Er würde es sich merken und es nicht im Sumpf seiner Eindrücke der "Fremde" verlieren.

Er wollte schon wieder weitergehen, um sich endlich ein Bier zu genehmigen, als er sie bemerkte. Sie schien in Gedanken versunken. Oder wartete sie auf jemanden? Vorsichtig ließ er seinen Blick über die junge Frau gleiten - von ihren nackten in Sandalen ruhenden Füssen über die leicht gebräunten Beine, die in einem schwarzen, schlichten Kleid verschwanden, welches ihre Figur komplimentierte aber die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht von ihr ablenkte. Ihre Arme waren verschränkt, die braunen Haare umspielten die Schultern. Sie war, im Gegensatz zum roten Haus neben ihr, kein Ausrufezeichen. Vielmehr war es ihre Stillheit, dieser lange Moment des sich nicht Bewegens, die seinen Blick fesselten. Oder vielleicht auch, weil er ihr Gesicht nicht sah. Sie stand mit dem Rücken zu ihm - sie und ihre beiden Schattenschwestern, die mit ihr warteten. Die beiden dunklen Umrisse standen neben ihr an den roten Wänden des Hauses im Profil, schlank und klar. Er war bezaubert. Hätte nicht gedacht, dass er der Typ zum Bezaubert Sein wäre. Doch hier stand er und bewegte sich ebenso wenig wie die Fremde und ihre beiden Schatten vor ihm.

Sollte er sie ansprechen? An diesem Abend schien alles möglich. Was würde er ihr sagen... Sich von hinten nähern und fragen, darf ich dein Gesicht sehen? Sie würde schreiend davon rennen. Wie heißen du und deine beiden Schwestern? (Hier würde er mit der Hand zum roten Haus deuten und versuchen, charmant zu lächeln.) Blödsinn. Sie sprach wahrscheinlich sowieso keine Sprache, die er auch verstand. (Bisnis Inglisch is for Bisnis.) Nicht dass dies nötig gewesen wäre - die Form ihres Körpers, die Linie ihrer Haltung, die Stille, die sie ausstrahlte, bedurften keiner Worte. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Er würde keine romantischen Höhenflüge wagen, sondern sie einfach fragen, welches Restaurant empfehlenswert war, wie man dahin kam und ob sie nicht ein Gericht und eine Flasche Wein mit ihm teilen wollte. Er holte tief Luft, öffnete seine Augen wieder und marschierte los.

Doch seine junge Schöne und ihre Schwestern waren nicht mehr da. Sein Puls schnellte noch, seine Muskeln spannten sich. Weit konnte sie nicht sein. Er hatte die Augen bloß einen Augenblick geschlossen. Doch die drei Sirenen blieben verschwunden, so sehr er sich auch umschaute.

Enttäuschung, Erleichterung und eine unerklärliche Sehnsucht machten sich breit in ihm. Er setzte sich auf den ersten freien Stuhl, bestellte ein Bier und betrachtete das rote Haus noch einmal in Ruhe.


(Bild: Carrothead)

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