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Mittwoch, 25. März 2009

Geschichten / Stories

Als neustes Experiment und Ergänzung dieses, meines, Blogs, werde ich versuchen, jede Woche eine Kurzgeschichte zu schreiben. Gerne nehme ich Themenvorschläge oder kreative Herausforderungen von euch an.

Und hier die erste Geschichte, "Venedig sehen und sterben".

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As the newest experiment and an addition to this, my, blog, I will try to write a new short story every week. I happily accept your suggestions and creative challenges for story topics.

And here the first story (below the German text), "To see Venice and die".

(Venedig/Venice, Oktober 2008)


Venedig sehen und sterben

Eine Frau und ein Mann gingen nach Venedig. Sie kannten sich noch nicht so lange, doch die Zukunft schien verheißungsvoll und voller Möglichkeiten. Sie hatten sich schon verloren und wieder gefunden und gemeinsame Stunden verbracht und sie vermisste ihn, wenn sie sich nicht sahen. Du bist so gut zu mir, sagte er immer wieder. Sie lachte und dachte, wie könnte ich anders. Als er zu ihr sagte, ich bin dein Freund, stolperte ihr Herz vor Freude. Und vor Angst. Das Potential dieser Worte, das Versprechen ihn ihnen schüchterte sie ein. Und dann gingen sie nach Venedig. Du solltest Ferien machen, hatte er fast beiläufig gesagt. Ich finde, wir sollten nach Venedig gehen. Venedig, das war ihr Traum. Der Nebel, die leeren Gassen und Brücken, die Melancholie. Sie hatte ihm von ihrem Wunsch erzählt, dorthin zu fahren einmal im November und dann nie wieder davon gesprochen. Und er hatte es sich gemerkt. Nun kauften sie sich zwei Fahrkarten und lachten und buchten ein Zimmer im schönsten und kleinsten Hotel der Lagune und freuten sich auf diese, ihre, Reise.

Und dann waren sie in Venedig, wo die Sonne golden schien und sie barfuss über den überfluteten Markusplatz wateten und unzählige kleine Gässchen einluden, sie zu erkunden und sich in ihrem Labyrinth zu verlaufen. Es war eine Stadt wie ein Traum. Ihr Traum. Doch das Herz der Frau war schwer, denn sie hatte nicht nur ihre Orientierung verloren, sondern auch den Weg zurück zu dem Mann, dem sie immer noch nicht gesagt hatte, wie sehr sie ihn mochte. Dem sie zuwenig vertraute, um ihm zu sagen, dass sie Angst hatte. Er war da und war nicht da und sie wagte nicht, die Karte zu lesen, weil vielleicht gar kein Weg mehr zurück führen würde.

Sie schwiegen beide und stiegen wieder in den Zug. Er war menschenleer. Sie schaute den Mann, der ihr gegenüber saß, an. Sie konnte sich alles mit ihm vorstellen. Ihre Zukunft. Ein ganzes Leben. Doch zuerst musste sie den Weg zurück finden. Sie hatte Angst. Er hatte ihr einmal gesagt, dass er nicht daran glaubte, dass das Glück von Bestand sei. Die Worte hatten sich in ihr Vertrauen geätzt. Und er schien so weit weg. Er schaute sie an und räusperte sich. Ich kann nicht mit dir zusammen sein, sagte er. Nicht atmen, nicht bewegen, nicht riskieren, ihre Atome in Schwingung zu versetzten und in einer Wolke auseinander zu fallen. Das Gewicht dieser Worte erdrückte sie. Da hielt der Zug an und wurde von Menschen überflutet. Sie stiegen zu und füllten die Wagen mit ihren Körpern, ihren Koffern, ihren Leben. Die Frau verschanzte sich hinter ihrer Jacke und sah der Landschaft zu, die an ihr vorbei flog und immer undeutlicher wurde. Still und leise weinte sie hinter ihrer Schutzmauer und bewegte sich nicht. Bis ihre Freundin anrief.

Die Frau implodierte. Explodierte. Fiel in Abermillionen von Atomen auseinander. Sie weinte, wie sie noch nie geweint hatte. Mit ihrem ganzen Herzen und ihrem ganzen Körper, haltlos und ohne Vorsicht. Die Leute im Zug waren still und schauten und dachten sich ihre eigenen Gedanken, die sich auf ihren Gesichtern widerspiegelten. Die Frau kümmerte sich nicht darum. Sie umschloss mit ihren Armen das blanke Loch in ihrer Mitte und versuchte, nicht daran zu denken, dass sie noch die nächsten fünf Stunden dem Mann gegenübersitzen würde, der sie soeben verlassen hatte.

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To see Venice and die

A woman and a man went to Venice. They hadn’t known each other for a very long time but the future seemed promising and lined with chances. They had lost and found each other again and spent time in each others lives and she missed him when he wasn’t there. You are so good to me he told her again and again. She laughed and thought that she couldn’t treat him any other way even if she’d wanted to. When he said, I am your friend, her heart stumbled in joy. And fear. For the potential, the promise of these words awed her. And then they went to Venice. You should go on a vacation he’d said casually. I think we should go to Venice. Venice… Venice was her dream. The fog, the empty lanes, the bridges, the melancholy. She had told him once of her wish to go to Venice in the dead of grey November and had never mentioned it again. He had remembered. And now they bought two tickets and laughed and booked a room in the loveliest and tiniest hotel of the city and looked forward to this, their, journey.

And then they were in Venice where the sun was shining golden and they waded barefoot over the flooded piazza San Marco and every little street begged to be discovered and get lost on the way. It was a city like a dream. But the woman’s heart was heavy because not only had she lost her orientation but also her way back to this man whom she had not yet told how much she cared for him. The man whom she did not trust enough to tell him how scared she was. He was there and he was not there and she was too afraid to read the map in case it would show her that there was no way back.

So they both were silent and got back on the train. It was empty but for them. She looked at the man sitting across from her. Everything seemed possible with him. Her future. A whole life. But first she had to find her way back. She was scared. He had once told her he didn’t believe that happiness lasted. His words had eaten away at her faith in him, in herself. And he seemed so far away. He looked at her and cleared his throat. I cannot be with you, he said. Stop breathing, stop moving, stop risk setting her atoms in motion and falling apart in a grey cloud. The weight of his words crushed her. Then the train stopped and was flooded with people. They boarded the wagons and filled them with their suitcases, their bodies, their lives. The woman barricaded herself behind her jacket and watched the landscape rush by and blurring slowly. Silent and still she cried behind her cover. Until her friend called.

The woman imploded. Exploded. Fell apart into millions of atoms. She cried like she had never cried before - with her whole body, without caution and without holding anything back. Pride did not matter. The people on the train were silent and watched and thought their own thoughts which were reflected on their faces. The woman did not care. With her arms she embraced the blank hole in her middle and tried not to think that for the next five hours she would still be sitting across the man who had just left her.

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